Großformatige Fliesen stehen bei vielen Planern und Bauherren hoch im Kurs. Hier hat sich der Markt im Bereich der keramischen Beläge in den letzten Jahren stark verändert. Die Abmessungen einzelner Platten werden immer größer, der Wunsch nach schmalen Fugen im gleichen Zuge immer lauter. Doch geht das überhaupt? Natürlich erfordert die Verlegung von XXL-Fliesen spezielle Verlegemethoden, passende Produkte und ein besonderes Augenmerk auf der Untergrundvorbereitung. Geht es um die Fugen, treten jedoch immer wieder Diskrepanzen auf.
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei Arten von Fugen:
Die klassische Belagsfuge besteht zumeist aus zementären Fugenmörteln, welche die einzelnen Fliesen miteinander verbinden und so eine hygienische, geschlossene Oberfläche erzeugen. Sie gleichen Maßtoleranzen aus, bauen Spannungen ab und verteilen einwirkende Kräfte.
Zu den offenen Dehn- und Bewegungsfugen gehören die Anschluss- und Feldbegrenzungsfugen, die in erster Linie eine technische Funktion erfüllen. Sie nehmen Bewegungen des Materials auf und gleichen die unterschiedliche Ausdehnung von Untergrund und Oberbelag aus, was die Entstehung von Schäden vermeidet. Doch was ruft diese Bewegungen hervor und welche Fugenbreite ist optimal?
Ursachen für Bewegungen von Bauteilen
Die Ursachen für die Bewegungen von Bauteilen bei Konstruktionen mit Fliesen- und Plattenbelägen sind insbesondere:
- die Zusammendrückbarkeit und das Federn von Dämmstoffen bei wechselnden oder unterschiedlichen Lasteinwirkungen
- das Bewegen von flankierenden oder anschließenden Bauteilen, wie z.B von Fachwerken, Alufassaden, Holzständerwaren u.v.m
- das Verkürzen von Baustoffen infolge von Austrocknung (das sogenannte Schrumpfen oder Schwinden)
- das wieder quellen bei erneutem Feuchtigkeitsanstieg, z.B durch erhöhte Luftfeuchtigkeit im Sommer
- das thermische Ausdehnungsverhalten der Baumaterialien, d.h das Ausdehnen beim Erwärmen und dem Zusammenziehen beim Abkühlen (z.B. bei mehreren Heizkreisen, großen Fensterfronten auf der Südseite etc.)
Werden diese Aspekte außer Acht gelassen, besteht das Risiko von Schäden an den Anschlüssen zu den Belagsflächen oder in den Belagsflächen als Ganzes. Um diese zu verhindern, ist die fachgerechte Anordnung von Dehn-, Bewegungs- und Anschlussfugen notwendig. So benötigt eine schwimmende Bodenkonstruktion – wie sie heute in fast jedem modernen Wohnungs- und Bürobau üblich ist – je nach Grundrissform und thermischer Belastung mehr oder auch weniger spannungsabbauende, elastische Fugen.
Empfohlene Bewegungsfugenbreite früher und heute
Im „alten“ FFN-Merkblatt vom September 1995 „Bewegungsfugen in Bekleidungen und Belägen aus Fliesen und Platten“ wurden noch Feldbegrenzungsfugen am Bodenbelag mit einer Breite von 8-10 mm empfohlen. Heutzutage ist diese Fugenbreite aus optischen Gründen nicht mehr zu verkaufen – in der Praxis hat sich mittlerweile eine durchschnittliche Breite von 5 mm durchgesetzt.
Speziell bei der Verlegung von Großformat ist die Funktion der Bewegungsfuge noch wichtiger, da hier ein auf die Fläche bezogen geringerer zementärer Fugenanteil vorhanden ist (weniger und schmalere Fugen).
Was ist grundsätzlich zu beachten?
Dazu gehen wir näher auf das neue Merkblatt vom FFN „Bewegungsfugen in Bekleidungen und Belägen aus Fliesen und Platten“ (10.2018) ein.
Betrachten wir zunächst den Untergrund: Konventionelle Zementestriche schwinden zum einen beim Abbinden und machen sich selbst im Bereich der Rand- und Feldbegrenzungsfugen Luft. Somit ist genügend Platz vorhanden, dass sich bei Sonneneinstrahlung oder durch Wärme bei einer Fußbodenheizung der Zementestrich ausdehnen kann. Weiterhin hat der klassische Zementestrich einen größeren Ausdehnungskoeffizienten als der keramische Belag, womit genügend Freiraum zum Ausdehnen vorhanden ist.
Nicht außer Acht gelassen werden darf außerdem die Raumtemperatur beim Einbau der Keramik: Die ideale Temperatur für die Verlegung liegt im mittleren Temperaturbereich des zu erwartenden Temperaturfensters. Wenn also im Raum Temperaturen zwischen 17°C Nachtabsenkung und 23°C Normalbetrieb herrschen, dann läge der mittlere Temperaturbereich bei 20°C.
Grundsätzlich ist für die Anordnung der Fugen der Bauwerksplaner verantwortlich, nicht der Ausführende. Der Bauwerksplaner muss einen Fugenplan erstellen, aus dem Art und Anordnung der Fugen zu entnehmen sind. Der Plan gehört zur Leistungsbeschreibung, die dem Auszuführenden vorzulegen ist (DIN 18560). Vorsicht! Der Fliesenleger darf sich nicht blind auf diese Angaben verlassen, sondern hat eine Prüfpflicht. Das gilt bezüglich des Fliesenformats, der Fugenbreite und des Fugenmaterials. Sollten in seinen Augen Planungsfehler vorliegen, muss er diese Bedenken schriftlich beim Bauherrn anmelden. Oberstes Ziel sollte es sein, einen geeigneten Fugenplan zu erstellen. Der Fliesenleger sollte sich also nicht dazu hinreißen lassen, die Fugen vorzugeben. Damit würde er in die Planungsleistung eintreten – mit entsprechend langen Gewährleistungsfristen. Besser ist es, den Plan gemeinsam mit dem Verantwortlichen zu erarbeiten und nochmals bestätigen zu lassen.
Berechnung der Bewegungsfugenbreite
Nach der Festlegung des Fugenplans steht die Berechnung der optimalen Bewegungsfugenbreite an. Diese ist abhängig von:
- den einzelnen Feldlängen
- der zu erwartenden Temperaturdifferenz
- dem Ausdehnungskoeffizienten des Untergrundes/Oberbelags
- der zulässigen Gesamtverformung (ZGV) des Dichtstoffs oder der Profile und
- der Farbe des Oberbelags im Außenbereich
Eine wichtige Annahme bei der Berechnung ist, dass sich die (Estrich-) Felder in alle Richtungen ausdehnen können (z.B. auch im Bereich der Randfugen zu aufgehenden Bauteilen). Damit die Bewegungsfugen ihre Funktion erfüllen können, müssen sie ausreichend breit dimensioniert sein.
Die grundsätzlichen Annahmen für Fugenbreite basieren der folgenden Formel:
b = L * ∆ T * αT * ZGV
Mindestbreite b = Seitenlänge L mal zu erwartende Temperaturdifferenz ∆ T, mal Ausdehnungskoeffizienten αT (Tab. 1) des Bauteils mit der größten Ausdehnung, mal ZGV des Dichtstoffes.
1. Erklärung der Parameter
Seitenlänge L
=die Feldlänge des Estrichs
Temperaturdifferenz ∆ T
= die zu erwartende Temperaturdifferenz zwischen dem Einbau des Oberbelags und der späteren Nutzung.
Ausdehnungskoeffizient αT
= Kennwert, der das Verhalten eines Stoffes bzgl. der Veränderung seiner Abmessung bei Temperaturveränderungen beschreibt. Gerechnet wird immer mit dem Ausdehnungskoeffizienten des Stoffes (Untergrund/Oberbelag), der sich am meisten ausdehnt (Tab1.)
Gesamtverformung (ZGV)
= Hochwertige Dichtstoffe, für die Ausführung elastischer Feldbegrenzungsfugen, haben eine zuverlässige Gesamtverformung (ZGV) von ca. 20 – 25%. Falls geringere Bewegungsfugenbreiten gewünscht sind, kann auch mit einer erhöhten ZGV des Dichtstoffs gerechnet werden. Je nach Dichtstoff sind bis zu max. 50% möglich.
2. Beispielrechnung
- Untergrund: Beheizte zementäre Konstruktion
- Oberbelag: Feinsteinzeug
- Wärmeausdehnungskoeffizienten αT von Zementestrich: 0,010 – 0,012 αT in mm / (m*K)
- Wärmeausdehnungskoeffizient αT von keramischen Fliesen: 0,006 αT in mm / (m*K)
- Zu erwartende Temperaturdifferenz: 20 Kelvin
- 3 Felder mit den Feldlängen:
Feld 1 – 3,2 Meter
Feld 2 – 6,5 Meter
Feld 3 – 3,2 Meter
2.1 Berechnung der Ausdehnung pro Feld:
Feld 1: 3,2 * 0,012 * 20 * 100/25 = 3,07 mm
Feld 2: 6,5 * 0,012 * 20 * 100/25 = 6,24 mm
Feld 3: 3,2 * 0,012 * 20 * 100/25 = 3,07 mm
2.2 Erklärung
Länge der Fläche in Meter mal die Ausdehnung pro Meter in Millimeter (Tabelle 1), mal die Temperaturdifferenz in Kelvin ergibt die Gesamtlängenänderung. Bei Silikonfugen mit 25 % Dehnfähigkeit wird die Längenänderung dann mal 4 gerechnet (100/25) wodurch sich die notwendige Fugenbreite ergibt. Für geringere Bewegungsfugenbreiten kann auch, je nach Dichtstoff, mit einer höheren Zusammendrückbarkeit (max. 50%) gerechnet werden. Somit könnte die Fugenbreite im genannten Rechenbeispiel auf eine Breite von 2,35 mm reduziert werden.
2.3 Ergebnis der Fugenberechnung
Am Rand von Feld 1 und 2 ergibt sich eine gute Fugenbreite von 1,5 mm. Zwischen den Feldern benötigt man eine Fugenbreite von 4,7 mm, welche sich aus 1,5 + 3,1 ergibt.
Fazit
Eine Bewegungsfuge ist nach DIN 52460 der beabsichtige oder toleranzbedingte Raum zwischen zwei oder mehreren Bauteilen (Flächen-/Gebäude-/Konstruktionsteilen). Sie stellt keine Abdichtung im Sinne der DIN 18534 oder des ZDB Merkblattes „Abdichtungen im Verbung (AIV)“ dar. Sie muss im Vorfeld sorgfältig geplant, ausgeschrieben und ausgeführt werden. Die Ausbildung erfolgt in der Regel mit spritzbaren Dichtstoffen oder geeigneten Fugenprofilen. Mit dem aktuellen FFN Merkblatt ist somit endlich bestätigt, was sich in der Praxis bereits bewährt hat: Schmalere Bewegungsfugen sind optisch unauffällig und technisch funktional.
Joachim Fülle – Leiter Produktmanagement und Anwendungstechnik codex